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  Ausgabe 16/2024
Freitag, der 19.04.2024
     

 / Anwaltsstation / Hessen

Allein vor Gericht – widerruflicher Vergleichsabschluss

von

Kurz vor Ende meiner Präsenzzeit in der Anwaltskanzlei bekam ich noch die berühmt berüchtigte Möglichkeit, für einen Mandanten vor Gericht aufzutreten – so ganz ohne dass einer der erfahrenen Anwälte dabei ist.

Ein Anwalt eines anderen Standortes der Kanzlei fragte bei uns an, ob nicht jemand einen Termin zur Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht wahrnehmen könne. Aufgrund des eher geringen Streitwertes sollten die Kosten gering gehalten und deshalb eine lange Anfahrt durch halb Deutschland vermieden werden. Ich wurde gefragt, ob ich Lust hätte – und fand es toll, dass sich eine solche Chance noch bot! 🙂 Ich rief dann den Anwalt des anderen Standortes an, ließ mir kurz im groben erklären, worum es ging und wie sich der Hintergrund gestaltete und wurde anschließend mit der Klageschrift der gegnerischen Partei versorgt und sollte mir damit zunächst selbst den Sachverhalt erschließen und eine Meinung bilden. Ganz motiviert machte ich mich dann an die Prüfung und tauchte ins kollektive Arbeitsrecht und die Tücken und Probleme zur anwaltlichen Vertretung und entsprechender Kostenfreistellung eines Betriebsrates ein. In einem weiteren Telefonat am nächsten Tag konnte ich dann Verständnisfragen stellen, Sachverhaltsangaben, die ich für erheblich befand „nachfordern“ und meine bisherigen Überlegungen vorstellen und diskutieren. Nachdem unser Standpunkt klar war und ich mir sicher war, die wesentlichen Argumentationspunkte verstanden zu haben und detailliert untermauern zu können, wurde mir der Spielraum für einen Vergleichsabschluss noch mitgegeben und dann viel Glück, Spaß und Erfolg für die Verhandlung am nächsten Tag gewünscht.

Mein Ausbilder und die anderen Kollegen vor Ort waren auch ganz begeistert, dass ich die Möglichkeit hatte „mal im Gerichtssaal mitzumischen“ und zeigten sich sehr interessiert, gaben mir noch Tipps zum Vorsitzenden, dem detaillierten Ablauf in der Verhandlung und die wichtigste Botschaft, dass ich absolut nichts falsch machen könne – sofern ich kein Anerkenntnis abgebe oder einen unwiderruflichen Vergleich abschließe. Da es ein Gütetermin am Arbeitsgericht war und bisher nur der Kläger eine Klageschrift abgegeben hatte, stellte ich mich darauf ein, direkt zu Beginn den Sachverhalt aus meiner Sicht umfassend zu schildern und auch meine rechtliche Würdigung des Ganzen zum besten zu geben. Mit einer in der Zwischenzeit extra für mich angelegten Parallelakte in der Tasche und einer unterschriebenen Vollmacht ausgestattet, machte ich mich am nächsten Tag dann auf den Weg zu meinem Termin.

Ich war etwas früher da, weil ich mich in die Verhandlung vorher schon mal rein setzten wollte, um mir anzuschauen, wie die Atmosphäre im Saal und der Richter vom Typ her so ist. Da ich direkt vorgewarnt wurde, dass so ein Gütetermin im Zweifel nur 5-10 Minuten dauern kann, sollte sich der Ausflug auch lohnen, sodass mir auch von den Kollegen empfohlen wurde, mir auch noch 1-2 der anderen Verhandlungen anzuschauen.

Vor Ort angekommen, musste ich zunächst feststellen, dass im 20 Minutentakt terminiert war und jeweils die Parteien zweier (teilweise sogar dreier) Verfahren auf eine Uhrzeit geladen waren. Ich muss zugeben, dass fand ich etwas merkwürdig. Es mag für die Richter vielleicht einfacher sein, so Wartezeiten auszuschließen und durcharbeiten zu können, falls Parteien säumig sind, aber es führte dazu, dass diverse Anwälte auf den Fluren standen (in den anderen Sitzungssälen wurde es ebenso gehandhabt) und wartend Luftlöcher starrten oder aber total abgehetzt im Gebäude eintrafen, um dann festzustellen, dass sie sich auch hätten Zeit lassen können, weil sowieso noch terminierte weitere Verhandlungen anstanden. Für mich erweckte es den Eindruck, dass diese Art zu terminieren eher den Anwälten kostbare Zeit stahl, weil zeitweise mehr Leute wartend im Flur standen, als tatsächlich in den Räumen verhandelten. Das sind zwar nur die Beobachtungen eines Sitzungstages, aber ich empfand es nicht so als die feine englische Art, wenngleich es mich selbst nicht störte, weil ich ja genügend Zeit eingeplant und Interesse auch an anderen Verhandlungen mitgebracht hatte.

Als es dann endlich soweit war und meine große Stunde schlug, setzte ich mich an den vom Richter aus gesehenen rechten Verhandlungstisch. Zunächst legte ich bei der Feststellung der Anwesenheit meine Vollmacht vor und erklärte, Stationsreferendarin zu sein. Der Richter gab dann den Sachverhalt aus der Klageschrift ausführlich wieder und dann bekam ich direkt das Wort. Ich erläuterte sachlich und freundlich unsere Sicht der Dinge und gab dann zum Besten, warum ich welche der angebrachten Anspruchsgrundlagen für nicht zutreffend hielt. Der Kollege der Gegenseite hakte hier und da nach, brachte weitere Tatsachen vor, aber zum Glück keine, die mich wirklich überraschten – ich war wirklich gut vorbereitet worden von dem abgebenden Anwalt. Der Richter würdigte anschließend sehr umfassend alle vorgebrachten Argumente, machte bei den meisten ziemlich deutlich, wie er sich dazu zu positionieren gedenkt und fragte dann, ob Vergleichsbereitschaft bestünde. Da im Vorfeld unsererseits bereits eine Summe in den Raum gestellt wurde, die aber endgültig und vehement abgelehnt worden war mit dem Hinweis auf ein höchstrichterlich bisher ungeklärtes Problem, gab ich zu, dass ein Vergleich grundsätzlich in Betracht zu ziehen sei, aber die Erwartungshaltung der Gegenseite mal geäußert werden sollte.

Dann ging es einige Minuten zu wie auf einer Auktion und nach Kommentierung der Risikoverteilung fielen die Werte im Sturzflug nach unten. Als wir uns dann auf eine Summe einigen konnten, merkte ich an, dass ich aber nur einen widerruflichen Vergleich abschließen möchte. Schlagartig änderte sich die Stimmung des bis dahin sehr entspannten Richters und er wurde etwas barscher und verunsicherte mich total mit der Äußerung „Das dürfen Sie nicht; ich werde Ihnen doch nicht erklären müssen, dass Sie das eigentlich nicht dürfen!“. Da ich im Vorfeld in meiner Kanzlei instruiert wurde, das so zu machen, war mir nicht klar, worauf der Richter hinaus wollte. Ich war kurz sprachlos und war nach kurzem Nachdenken geneigt zu sagen, er müsse mir das leider tatsächlich erklären, als der Anwalt der Gegenseite mir freundlich zu Hilfe kam und dem Vorsitzenden sagte, dass er es der armen Referendarin doch nicht so schwer machen solle, es hätte doch alles seine Richtigkeit und er sei damit einverstanden, das so zu protokollieren. Der Vergleich wurde dann also so geschlossen, ich bekam eine Widerrufsfrist und die Verhandlung war beendet.

Abgesehen von der merkwürdigen Situation am Ende war es ein sehr angenehmer Sitzungstag, entspannte und freundliche Atmosphäre, auch jeweils mit den Parteien und Vertretern der Gegenseite. Als ich dann zurück in der Kanzlei war, ließ ich mich aufklären: Der Richter meinte, ich dürfe keinen widerruflichen Vergleich abschließen, weil ich mit einer Vollmacht nach § 141 Abs. 3 ZPO die eigentlich persönlich geladene Partei vertreten habe. Die Richter würden oft versuchen, Vergleiche durchzudrücken und sich die Ungewissheit der Widerspruchsfrist und damit möglicherweise weitere Arbeit in der Sache zu ersparen, indem sie argumentieren, dass eine persönlich erschienene Partei  eine endgültige Entscheidung an Ort und Stelle treffe und dies deshalb auch ein Vertreter tun müsse. Allerdings verkennt ein Gericht bei dieser Argumentation, dass selbstverständlich auch eine persönlich erschienene Partei einen widerruflichen Vergleich mit nach Hause nehmen kann, um nochmal darüber zu schlafen oder dies mit anderen (Personen, Gremien, Unternehmensjuristen, etc) nochmal zu diskutieren. Also, auf diese Finte falle ich nicht mehr rein – das nächste Mal bin ich da nicht verunsichert, sondern werde schlagfertig antworten! 😉

Insgesamt war es ein tolles Erlebnis, mit „Welpenschutz“ allein im Gerichtssaal aufzutreten. Die Vorbereitung hat Spaß gemacht, es war eine angenehme Atmosphäre im Gerichtssaal und das Wissen, dass ich eigentlich nichts falsch machen konnte, war natürlich sehr beruhigend für den ersten Auftritt. Etwas unterschätzt hatte ich allerdings die Anforderungen an den im Nachgang zu erstellenden Terminsbericht. Insbesondere den Vergleichstext hätte ich – obwohl es sehr schnell protokolliert wurde – wortwörtlich mitschreiben und im Zweifel auch nochmal zum mitschreiben wiederholen lassen sollen. Reine inhaltliche Widergabe und Datum wurden für nicht ausreichend befunden. Die Widerrufsfrist wurde mit nur einer Woche nämlich etwas knapp bemessen, sodass im Zweifel in dieser Zeit das Sitzungsprotokoll den Parteien noch nicht vorliegt. Aber auch das habe ich dann jetzt für ein eventuelles nächstes Mal gelernt! 🙂

Der Artikel wurde am 6. Mai 2014 von veröffentlicht. Melli war Referendarin in Hessen.