Mittlerweile sind schon drei Viertel der Verwaltungsstation geschafft und mir wurde ein Streifzug durch etliche Gebiete des Verwaltungsrechts geboten.
Schadensgeneigte Arbeit
Schadensgeneigte Arbeit ist die in unserer Behörde gepflegte liebevolle Umschreibung der Ortstermine, also der Gerichtsverhandlungen, die aus Anlass der richterlichen Augenscheinnahme am streitgegenständlichen Fleck stattfinden. So kam es, dass ich gleich zweimal das Vergnügen hatte, baurechtlich-nachbarrechtliche Streitfragen an Ort und Stelle unter die Lupe zu nehmen und zu diskutieren. Im ersten Fall ging es um die Frage, ob eine Güllegrube im Außenbereich eines Straßendorfes rechtmäßig und unter Einhaltung des aktuellen Stands der Technik errichtet wurde oder ob die (Geruchs-)Immissionen und der „Schandfleck“ im Blickfeld vom Balkon für die Nachbarn unzumutbar sind. Der Verwaltungsrichter kam ohne Robe in Zivil, aber bewaffnet mit Diktiergerät, wir als Vertreter des Rechtsamtes liefen gemeinsam mit den Vertretern des beklagten Bauamtes ein, außerdem war noch der beigeladene Güllegrubengrundstücksbesitzer (was für ein Wort 😉 ) mit von der Partie und jeweils natürlich die Anwälte der Parteien, sodass wir uns zur Gerichtsverhandlung zu acht in der 9 qm großen Küche des Klägers einfanden.Mit Ausnahme des Richters und dessen Aktenberg und Bebauungsplan, welche den kleinen Küchentisch komplett in Beschlag nahmen, mussten alle anderen stehen und zum Teil aus zweiter Reihe mitdiskutieren. Eine Einigung konnte leider nicht erzielt werden, sodass nach 1 Stunde und viel hin und her beschlossen wurde, die Sache an einen Sachverständigen abzugeben, weil die Fronten bereits viel zu sehr verhärtet waren und niemand nachgeben und einen Schritt auf den anderen zugehen wollte…
Der zweite Ortstermin fand in einem Neubaugebiet statt, in dessen Mitte ein Hochsitz steht. Ja, ihr lest richtig. Genau um diese bauliche Anlage ging es auch. Ursprünglich befand sich das Grundstück mit Hochsitz im Außenbereich, früher wurde er am Waldrand zum Jagen genutzt, die Eigentümer des Grundstücks sind auch heute noch im Besitz eines Jagdscheins. Da aber der Waldrand längst nicht mehr zu sehen ist und rund um dieses Grundstück mittlerweile Neubauten errichtet wurden, dient der Hochsitz heute als Brutstätte für seltene Vögel. An ihm hängen verschiedene Nester, die zum Brüten genutzt werden. Es wurde geklagt, weil das Bauunternehmen, das angrenzende Naubaugrundstück schwer veräußern konnte und behauptete, dies läge daran, dass potentielle Käufer aufgrund des Hochsitzes abgeschreckt würden, weil sie befürchteten, von dort aus heimlich beobachtet zu werden und deshalb in ihrer Privatsphäre gestört zu sein. Die Ortsbegehung ergab dann allerdings (obwohl sie bereits 4 Monate nach Klageeingang stattfand!), dass mittlerweile alle Häuser verkauft waren. Es stellte sich somit die Frage, ob der Kläger (das Bauunternehmen) überhaupt noch klagebefugt war… jedenfalls waren die Eigentümer des Hochsitzes sehr kooperativ – die Beobachtungsbedenken konnten sie nicht verstehen, sie seien seit bestimmt 7 Jahren nicht mehr oben gewesen, weil sie körperlich gar nicht mehr in der Verfassung seien, dort hinauf zu klettern. Sie waren aber bereit, die Fenster des Hochsitzes mit Brettern von innen zuzumachen, sodass eine Beobachtung der Nachbarn ausgeschlossen werden kann.Allerdings bräuchten Sie dazu eine längere Frist zur Umsetzung, weil sie erstmal jemanden finden müssten, der für sie hochklettert und den Sichtschutz anbringt… also das war ein spaßiger Termin, der eigentlich total überflüssig war, weil das alles im Vorfeld gütlich hätte vereinbart werden können. Aber es war schon interessant, eine Gerichtsverhandlung im Stehen mitten im Wohngebiet abzuhalten – immer wenn ein Auto kam, mussten alle zur Seite gehen und die Straße räumen und erst wenn die Hintergrundkulisse wieder leiser war, konnte weiter diktiert werden… 🙂
Das waren also mal etwas andere Gerichtsverhandlungen, mitten im Leben am Ort des Geschehens.
Querulantenmanagement
Kurz vor dem Wahltag erreichte uns Post von einem Bürger, der beim Rechtsamt um Rat fragte, wie er sich denn verhalten solle bei der Bundestagswahl. Er bezog sich darauf, dass in Deutschland alle Wahlen seit 1956 ungültig seien, somit auch alle Gesetze ab diesem Datum aufgrund einer ungültigen Regierung nicht rechtsgültig seien und es deshalb unmöglich sei an den Wahlen teilzunehmen, ohne gegen die Verfassung zu verstoßen… Meine Ausbilderin meinte, auch Querulantenmanagement gehöre zum alltäglichen Aufgabenspektrum im Rechtsamt und auch wenn es eigentlich nicht die Aufgabe sei, Bürgern Rat zu erteilen, so solle ich doch mal eben eine freundliche Antwort verfassen. Meine Recherchen ergaben dann recht schnell, dass es sich um ein im Internet zu googelndes Musterschreiben handelte, was uns erreichte. Hier hatte ich also sogar das erste Mal „direkten Bürgerkontakt“ und durfte einen Antwortbrief schreiben und eintüten… 😉
Anhörungsausschuss
Als nächstes Bestand meine Aufgabe darin, die Akten der für den nächsten Anhörungsausschuss terminierten Fälle zu lesen, Sachberichte zu verfassen und die Angelegenheiten rechtlich aufzubereiten, um dann selbst zwei Fälle meiner Wahl im Anhörungsausschuss zu leiten.
Der Anhörungsausschuss beim Landrat als Behörde der Landesverwaltung verhandelt Widersprüche gegen Bescheide der Städte und Gemeinden sowie des Landkreises. Ziel der Verhandlung ist eine möglichst gütliche Einigung. Rechtsvorschriften, wie genau ein Termin beim Anhörungsausschuss abzulaufen hat, gibt es keine. Ich suchte mir also zwei Fälle aus unterschiedlichen Themengebieten aus (Sozialrecht und Baurecht), die nicht ganz oben auf der Tagesordnung standen, um mir zunächst einmal anzuschauen, wie das so abläuft. Der Anhörungsausschuss besteht aus dem Vorsitz und zwei Beisitzern und wird im Sitzungssaal des Landratsamtes abgehalten, einem schönen historischen Saal mit großen Kreis- und Stadtwappen an den Wänden und Tischen, aufgestellt in U-Form. Zu Beginn der jeweiligen Sache wurde anhand des vorher verfassten Sachberichts kurz (!) in den Fall eingeführt (jedenfalls die Beisitzer wissen vorher noch gar nicht, worum es geht), dann wird den Widerspruchsführern das Wort erteilt und sie haben die Möglichkeit, in allen Einzelheiten ihre Sicht der Dinge zu schildern. Weil die Bürger sich freuen, gehört zu werden, erwähnen sie alles, was ihnen wichtig erscheint, sodass bei einem zu umfangreichen Sachbericht vieles doppelt erzählt würde… meist meldet sich die Gegenseite an den entsprechenden Stellen selbst zu Wort, sodass in eine rege Diskussion eingestiegen werden kann, in welcher auf Augenhöhe (meistens) sachlich das Problem umfassend erörtert werden kann. Einiges konnte so praxisorientiert tatsächlich vorangetrieben/ gelöst werden.
Wenn dagegen keine gütliche Einigung erreicht werden kann, gibt der Anhörungsausschuss im Nachgang dann eine Empfehlung für das weitere Verfahren ab. Wer hätte es gedacht – das war dann meine nächste Aufgabe, jeweils für die Widerspruchsführer verständlich (also nicht in juristischem Fachtext) zu begründen, warum empfohlen wurde, dem Widerspruch nicht abzuhelfen. Wirklich interessant war es an diesem Tag (es waren 8 Sachen terminiert) wie unterschiedlich die einzelnen Verhandlungen abliefen. Natürlich machte es einerseits einen Unterschied, ob Anwälte mit dabei waren oder die Bürger ohne Rechtsbeistand kamen, dann aber auch, ob die Anwälte mit den hessischen Anhörungsausschüssen vertraut waren und diese zu schätzen wussten, oder sie für eine eher sinnlose Durchgangsstation hielten. Bei den Bürgern, die ohne Anwälte kamen, waren andererseits aber auch große Unterschiede feststellbar – manche sahen es als einschüchternden Pflichttermin, dem man leider ausgesetzt war, andere waren intensiv und detailliert vorbereitet, hatten diverse Bilder, Urteile, Fundstellen und Zeugenaussagen im Gepäck und waren für den „Kampf für ihr Recht“ mit Argumentationsplan A, B und C rundum vorbereitet! 😉
…. soweit zu meinem aktuellen Stationsalltag. Jetzt ist es kaum noch ein Monat, dann ist auch diese Etappe wieder beendet…