Inzwischen ist mein dritter und letzter Monat in der Kanzlei angebrochen – ich muss sagen, die Zeit rast fast unbemerkt einfach so vorbei. Die Tage im Büro machen mir wirklich Spaß – die Kollegen in meiner Abteilung sind alle super nett, auch mal für Witze und Späße zwischendurch offen und ich habe mittlerweile die unterschiedlichsten Fälle aus diversen Bereichen von unterschiedlichen Anwälten bearbeiten dürfen und damit interessante und durchaus überwiegend ausbildungsrelevante Einblicke bekommen.
In der Kanzlei wurde mir ein (kanzleiinterner) Ausbildungsnachweis ausgehändigt, in den ich selbst immer eintragen muss, was genau – Beantwortung einer Mandantenanfrage / Übersetzung, Prüfung von Verträgen / Entwurf Klageschrift oder Klageerwiderung/ Memo zu Rechtsfrage / Verfassen einer Urteilsanmerkung / etc – zu welchem Aktenzeichen ich gemacht habe. Das lege ich dann der entsprechenden Person vor, die mir die Aufgabe übertragen hat, damit diese in der Liste den Schwierigkeitsgrad der Aufgabe, die Erfüllung der jeweiligen Anforderungen und die praktische Verwendbarkeit ausfüllt und in der letzten Spalte eine entsprechende Note einträgt. Der Vordruck entspricht im Wesentlichen dem, was auf der Seite des JPA herunterzuladen ist. Da diese Liste aber sehr abstrakt ist und nicht auf alle denkbaren Stationen übertragbar ist, wird auch jeder andere selbst erstellte Ausbildungsnachweis anerkannt – das Formular vom JPA ist nur als Richtlinie gedacht, aber nicht zwingend zu verwenden.
Bezüglich des Feedbacks bin ich total begeistert, dass ich in der Kanzlei immer ziemlich direkt eine Rückmeldung bekomme, wir die Fehler oder konstruktive Kritik besprechen und ich dann auch immer eine Kopie der Endversion des Arbeitsauftrages bekomme, so wie es an den Mandanten oder das Gericht rausgeschickt wurde. Sollten Anwalt und ich mal unterschiedlicher Meinung sein (insbesondere bei Aufbaufragen), gibt es genügend Referendare in der direkten Umgebung, mit denen das weiter ausdiskutiert werden kann.
Der Austausch unter den Referendaren ist wirklich gut – mittags machen alle Interessierten gemeinsam Pause – mal in umliegenden Bistros, etc oder – jetzt wo das Wetter besser ist – gerne auch auf der Dachterrasse in der Sonne! Wir erzählen uns gegenseitig spannende Fälle, die gerade auf dem Schreibtisch liegen oder Neuigkeiten aus den AGs, können uns bei Aufbauproblemen oder klausurtaktischen Fragen besprechen und helfen uns mit guten Mustern oder Skripten gegenseitig aus. Aber auch andere nicht juristische Themen werden gelegentlich natürlich ausführlich diskutiert.
Aber nicht nur Juristisches, auch gute alte Traditionen werden vermittelt und gepflegt. Im Februar, um die Fastnachtszeit, lernte ich zum Beispiel, dass Fastnacht in Frankfurt insbesondere am heiligen Fastnachtsdienstag zelebriert wird – da war und ist traditionell in den Frankfurter Unternehmen ab mittags frei. Denn da fand bereits zum 175. Mal der Klaa Pariser Fastnachtsumzug statt, der den Frankfurter Ortsteil Heddernheim zu einer kleinen Weltstadt werden ließ. Bevor zur Mittagszeit also alle Büros leergefegt wurden, um sich ins jecke Treiben zu stürzen (oder für den ein oder anderen auch einen freien Nachmittag daheim zu genießen), wurden bereits am Vormittag alle auf die 5. Jahreszeit eingestimmt, denn es gab für alle Kreppel (mit Himbeer- oder Kirchfüllung), die direkt neben der Kaffeemaschine bereitstanden und einen anlachten… 😉
Kurz darauf durfte ich zu einem Gerichtstermin vor dem OLG Frankfurt mit. Irgendwie hatte ich gedacht, das wird eine Sitzung in klassischem Bilderbuchambiente – aber weit gefehlt. Mir war bis zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst, dass das OLG in Frankfurt derart viele Gebäude hat und wir waren leider in einem architektonisch unschönen Gebäude, mit kleinen Gerichtssäalen, die sehr an Klassenzimmer erinnerten. Der Richter saß nicht erhöht, die Tische allesamt schlichte, langweilige „Schuleinrichtung“. Spannend war die Zeugenvernehmung von insgesamt sechs geladenen Zeugen, die bilderbuchmäßig die denkbaren Verhalten und Fragen zur Glaubwürdigkeit der Personen präsentierten. Die erste war eine sehr verängstigte Frau, die so aufgeregt war, dass sie nicht mal mehr ihr Geburtsdatum oder ihren Wohnort wusste, sich an nichts erinnern konnte und sich von jeder Frage neu verunsichern ließ. Der nächste Zeuge war von sich total überzeugt, hatte eine durchdringende Stimme, ließ niemanden zu Wort kommen und ihm dazwischenreden, war in der Wortwahl total absolut. Der nächste erklärte alles in einem Detailreichtum, dass man selbst an der eigenen Merkfähigkeit nur zweifeln konnte… der Richter war allerdings ziemlich unfreundlich und reagierte den Zeugen gegenüber wenig einfühlsam, drehte ihnen teilweise die Aussagen im Mund herum und wurde ziemlich laut… den Parteien gegenüber ließ er an vielen Stellen ziemlich durchscheinen, welcher Partei er zugeneigt war und machte dies durch ein paar sehr unfreundliche Äußerungen deutlich. Wir gingen mit einem sehr merkwürdigen Gefühl nach guten drei Stunden aus der Verhandlung und ich hätte auch darauf gewettet, dass unser Mandant verliert… aber jetzt kam völlig überraschend ein für uns doch sehr positives Urteil.
Aber ich muss sagen, von der Atmosphäre her, hat mich die Verhandlung im OLG schwer enttäuscht, irgendwie hätte ich anderes erwartet – aber vielleicht war ich von meinen Amtsgerichtsbesuchen während des Sitzungsdienstes einfach zu angetan gewesen. Da waren es immer ältere Gebäude, große Säale, erhöhter Podest, abgetrennter Zuschauerbereich, viel Platz auch für Zeugen – und ich finde, das Ambiente macht viel aus. Die Vorsitzenden dort hatten auch Wert darauf gelegt, dass Kopfbedeckungen abgesetzt, Kaugummis verbannt und Handys ausgeschaltet wurden. Im OLG Termin klingelten gleich zweimal Telefone und die eine Partei schmatzte die ganze Zeit ihren Kaugummi…
Die Anwalts-AG ist inzwischen auch beendet. Kurz vor Schluss wurde noch die obligatorische Klausur geschrieben und dann machten wir noch eine Art Rollenspiel, bei dem sich einige Referendare als Zeugen zu einem Geschehnis befragen lassen sollten, wobei nur einer der Akteure tatsächlich dabei war und die anderen beiden aufgrund der Informationen aus der Vorbesprechung die gestellten Fragen beantworteten. Es ging darum herauszufinden, wer tatsächlich die Situation miterlebt hatte und aufgrund welcher Indizien (Detailreichtum, geradliniges Erzählen, Zögern beim Antworten, Weggucken, Pauschalierungen… ) in der Gesamtschau der Wahrheitsgehalt von Aussagen bewertet werden kann. Das war eine ganz witzige Sache zum Abschluss der AG.