Auf der Seite von „Protokolle Assessorexamen“ gibt es neben den Prüferprotokollen für das 2. Juristische Examen auch viele Hinweise zu aktueller Rechtsprechung, die Gegenstand der Klausuren oder der mündlichen Prüfung werden könnten. Insbesondere werden examensrelevante Entscheidungen für Rechtsreferendare im „Fall des Monats“ detailliert aufbereitet. Wir stellen Euch hier den Fall des Monats aus dem Mai 2015 vor:
Zivilrecht: Haftung für Schäden beim Abschleppen eines Fahrzeugs – BGH, Urteil vom 18. 02. 2014
Der Sachverhalt:
Der Beklagte betreibt ein Abschleppunternehmen. Am 12. Februar 2011 schleppte er im Auftrag der Stadt M. das vom Kläger verbotswidrig geparkte Fahrzeug ab und stellte es auf dem Parkplatz des Ordnungsamtes ab. Der Kläger behauptet, sein Fahrzeug sei bei dem Abschleppvorgang beschädigt worden, wodurch ihm ein Schaden in Höhe von 3.356,36 € entstanden sei. Die auf Ersatz seines Schadens gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Die Entscheidung des BGH:
Dem Kläger steht kein Anspruch auf Schadensersatz gegen das beklagte Abschleppunternehmen zu.
- Kein deliktischer Anspruch wegen Haftungsübergang auf die Stadt M. gemäß Art. 34 GG
Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass deliktische Ansprüche des Klägers gegen den Beklagten wegen der behaupteten Beschädigung seines Fahrzeugs im Rahmen des Abschleppvorgangs gemäß Art. 34 Satz 1 GG ausgeschlossen sind. Der Beklagte handelte bei der Durchführung des ihm von der Stadt M. erteilten Abschleppauftrages in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes, so dass die Verantwortlichkeit für sein etwaiges Fehlverhalten allein die Stadt M. trifft.
a) Zieht der Staat private Unternehmer zur Erfüllung ihm obliegender Aufgaben auf privatrechtlicher Grundlage heran, so hängt die Qualifikation der Tätigkeit des Unternehmers als hoheitlich oder nicht hoheitlich von dem Charakter der wahrgenommenen Aufgabe, der Sachnähe der übertragenen Tätigkeit zu dieser Aufgabe und dem Grad der Einbindung des Unternehmers in den behördlichen Pflichtenkreis ab. Je stärker der hoheitliche Charakter der Aufgabe in den Vordergrund tritt, je enger die Verbindung zwischen der übertragenen Tätigkeit und der von der Behörde zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe und je begrenzter der Entscheidungsspielraum des Unternehmers ist, desto näher liegt es, ihn als Beamten im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen. Jedenfalls im Bereich der Eingriffsverwaltung kann sich der Staat der Amtshaftung für fehlerhaftes Verhalten seiner Bediensteten nicht dadurch entziehen, dass er die Durchführung einer von ihm angeordneten Maßnahme durch privatrechtlichen Vertrag auf einen privaten Unternehmer überträgt.
b) Nach diesen Grundsätzen handelte der Beklagte bei der Durchführung des Abschleppauftrages hoheitlich. Er war für die Stadt M. im Rahmen der Eingriffsverwaltung als deren „Erfüllungsgehilfe“ tätig. Seine Beauftragung mit dem Abschleppen des unerlaubt geparkten Fahrzeugs des Klägers diente der Vollstreckung des in dem – vom Kläger missachteten – Verkehrszeichen enthaltenen Wegfahrgebots im Wege der Ersatzvornahme. Hätte die Stadt M. als Straßenverkehrsbehörde den Abschleppvorgang mit eigenen Mitteln durchgeführt, so stände der hoheitliche Charakter der Maßnahme außer Zweifel. Deren rechtliche Beurteilung als Vollstreckungshandlung kann aber nicht davon abhängen, ob die Vollstreckungsbehörde selbst oder ein Dritter im Auftrag dieser Behörde die Maßnahme durchführt.
c) Da der Beklagte hoheitlich gehandelt hat, trifft die Verantwortlichkeit für sein etwaiges Fehlverhalten gemäß 34 Satz 1 GG allein die Stadt M. Die in dieser Bestimmung geregelte Haftungsverlagerung stellt eine befreiende Schuldübernahme kraft Gesetzes dar mit der Folge, dass der Beamte, der seine Amtspflicht verletzt hat, persönlich nicht aus unerlaubter Handlung in Anspruch genommen werden kann.
- Kein vertraglicher Schadensersatzanspruch im Rahmen eines Vertrages mit Schutzwirkung Dritter
Die Revision wendet sich auch ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach dem Kläger kein vertraglicher Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zu seinen Gunsten zusteht. Der Kläger ist nicht in den Schutzbereich des zwischen der Stadt M. und dem Beklagten geschlossenen Vertrages über das Abschleppen seines verbotswidrig geparkten Fahrzeugs einbezogen.
a) Neben dem gesetzlich geregelten Vertrag zu Gunsten Dritter (328 BGB), der für den Dritten einen Anspruch auf die vereinbarte Leistung begründet, hat die Rechtsprechung den Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter herausgebildet. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass der Anspruch auf die geschuldete Hauptleistung allein dem Vertragspartner zusteht, der Dritte jedoch in der Weise in die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten einbezogen ist, dass er bei deren Verletzung vertragliche Schadensersatzansprüche geltend machen kann.
Die Einbeziehung eines Dritten in die Schutzwirkungen eines Vertrages setzt voraus, dass Sinn und Zweck des Vertrages und die erkennbaren Auswirkungen der vertragsgemäßen Leistung auf den Dritten seine Einbeziehung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben erfordern und eine Vertragspartei, für den Vertragsgegner erkennbar, redlicherweise damit rechnen kann, dass die ihr geschuldete Obhut und Fürsorge in gleichem Maß auch dem Dritten entgegengebracht wird. Danach wird ein Dritter nur dann in die aus einem Vertrag folgenden Sorgfalts- und Schutzpflichten einbezogen, wenn er mit der Hauptleistung nach dem Inhalt des Vertrags bestimmungsgemäß in Berührung kommen soll, ein besonderes Interesse des Gläubigers an der Einbeziehung des Dritten besteht, den Interessen des Schuldners durch Erkennbarkeit und Zumutbarkeit der Haftungserweiterung Rechnung getragen wird und der Dritte schutzbedürftig ist.
b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Stadt M. ein besonderes Interesse an der Einbeziehung des Klägers in den Schutzbereich des mit dem Beklagten abgeschlossenen Vertrags hatte. Denn es fehlt jedenfalls an der erforderlichen Schutzbedürftigkeit.
aa) Damit die Haftung des Schuldners nicht unkalkulierbar ausgedehnt wird, sind an die Einbeziehung von Dritten in den vertraglichen Schutz strenge Anforderungen zu stellen. An der Ausdehnung des Vertragsschutzes muss nach Treu und Glauben ein Bedürfnis bestehen, weil der Dritte andernfalls nicht ausreichend geschützt wäre. Eine Einbeziehung des Dritten ist deshalb regelmäßig zu verneinen, wenn ihm eigene vertragliche Ansprüche zustehen, die denselben oder zumindest einen gleichwertigen Inhalt haben wie diejenigen Ansprüche, die er auf dem Weg über die Einbeziehung in den Schutzbereich eines zwischen anderen geschlossenen Vertrages durchsetzen will.
bb) Nach diesen Grundsätzen ist der Kläger nicht schutzbedürftig. Denn ihm steht gegen die Stadt M. neben seinem Amtshaftungsanspruch ein Schadensersatzanspruch aus einem durch den Abschleppvorgang begründeten öffentlichrechtlichen Verwahrungsverhältnis zu, durch den sein Ersatzinteresse vollumfänglich abgedeckt wird.
(1) Ein öffentlichrechtliches Verwahrungsverhältnis entsteht u.a. dadurch, dass ein Verwaltungsträger bei Wahrnehmung einer öffentlichrechtlichen Aufgabe eine fremde bewegliche Sache in Besitz nimmt und den Berechtigten von Einwirkungen ausschließt, insbesondere an eigenen Sicherungs- und Obhutsmaßnahmen hindert. Anders als im Privatrecht entsteht das Rechtsverhältnis bei Eintritt dieses Tatbestandes automatisch; eines Vertrages bedarf es nicht. An die Stelle der Willenseinigung Privater treten öffentlichrechtliche Maßnahmen.
Ein öffentlichrechtliches Verwahrungsverhältnis wird insbesondere durch das Abschleppen eines verbotswidrig geparkten oder verunfallten Fahrzeugs im Wege der Ersatzvornahme begründet. Dies gilt auch dann, wenn sich die Behörde zur Durchführung des Abschleppvorgangs der Hilfe eines Privaten bedient.
(2) Auf das öffentlichrechtliche Verwahrungsverhältnis sind die bürgerlichrechtlichen Verwahrungsvorschriften der §§ 688 ff. BGB sowie die für Leistungsstörungen bestehenden Bestimmungen entsprechend anzuwenden. Bei einer Beschädigung der Sache gelten insbesondere die §§ 276, 278 sowie die §§ 280 ff. BGB analog. Der Verwaltungsträger hat daher für schuldhafte Pflichtverletzungen – auch seines Erfüllungsgehilfen – einzustehen und Schadensersatz zu leisten, wobei ihm im Gegensatz zur Amtshaftung die Beweislast für fehlendes Verschulden obliegt.
- Keine Haftung des Abschleppunternehmens nach § 7 Abs. 1 StVG
Zutreffend und von der Revision nicht angegriffen hat das Berufungsgericht auch eine Haftung des Beklagten aus § 7 Abs. 1 StVG verneint. Da das Fahrzeug des Klägers auf den Abschleppwagen gehoben und auf diesem abtransportiert worden ist, bilden beide Fahrzeuge jedenfalls eine Betriebseinheit. Die Haftung des Halters aus § 7 Abs. 1 StVG erstreckt sich aber nicht auf Schäden an dem gehaltenen oder dem mit diesem eine Betriebseinheit bildenden Fahrzeug.