Für eine abgeleistete Dienstpflicht erhalten Bewerber auch heute noch in nahezu allen Bundesländern einen Vorteil, indem sie entweder einen Wartepunkt zusätzlich erhalten oder ihre Bewerbung so behandelt wird, als wäre sie zB sechs Monate früher eingegangen.
Der EuGH musste sich bereits 2000 mit der Frage beschäftigen, ob die Berücksichtigung von Wehr- bzw. Ersatzdienstzeiten im Rahmen der Wartezeit rechtmäßig ist.
Nachdem eine Bewerberin zum Rechtsreferendariat in Hessen im Auswahlverfahren nicht berücksichtigt werden konnte, ging sie gegen diese ablehnende Entscheidung vor. Das Verwaltungsgericht Frankfurt legte dann dem EuGH acht Fragen zur Auslegung der Gleichbehandlungsrichtlinie vor, unter anderem auch die Frage, ob die Wartezeiten-Regelung mit der Richtlinie vereinbar ist.
Hier die interessanten Passagen des Urteils -, das man sicherlich auch gut als Grundlage für eine Verwaltungsrechtsklausur nehmen kann bzw. konnte:
Der Ausgangsrechtsstreit:
Frau S. legte im Oktober 1997 die erste juristische Staatsprüfung ab. Nach deutschem Bundes- und hessischem Landesrecht ist Voraussetzung für den Erwerb der Befähigung zum Richteramt oder zu einem Amt der Laufbahn des höheren Dienstes im Beamtenverhältnis, dass der juristische Vorbereitungsdienst abgeleistet und anschließend die zweite juristische Staatsprüfung abgelegt wird. Zu diesem Zweck bewarb sich die Kl. beim Hessischen Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten (im Folgenden: Ministerium) um die Aufnahme in den Vorbereitungsdienst zum Beginn des Monats Januar 1998.
Mit Schreiben vom 16. 12. 1997 lehnte das Ministerium den Antrag von Frau S. ab und teilte ihr mit, dass man angesichts der zu großen Bewerberzahl eine Auswahl nach § 24 Abs. 2 JAG habe treffen müssen. Mit Schreiben vom 11. 2. 1998 teilte ihr das Ministerium mit, dass sie aus den gleichen Gründen auch nicht zum Beginn des Monats März 1998 in den Vorbereitungsdienst aufgenommen werden könne, für den sie ihre Bewerbung aufrechterhalten hatte.
Am 13. 2. 1998 legte die Kl. gegen die Ablehnung der Aufnahme in den Vorbereitungsdienst Widerspruch ein, u.a. mit der Begründung, dass Frauen durch das Auswahlverfahren aufgrund der Bevorzugung von Bewerbern, die einen Wehr- oder Ersatzdienst abgeleistet hätten – was nur Männern möglich sei -, diskriminiert würden. Der Widerspruch wurde am 2. 4. 1998 mit der Begründung zurückgewiesen, dass die in Frage stehende Regelung, die den Nachteil ausgleiche, den männliche Bewerber dadurch hätten, dass sie einen Wehr- oder Ersatzdienst ableisten müssten, auf einem sachgerechten Differenzierungskriterium beruhe.
Parallel zum Widerspruchsverfahren beantragte Frau S. vor dem VerwG Frankfurt am Main einstweiligen Rechtsschutz mit dem Ziel, Anfang März 1998 als Rechtsreferendarin eingestellt zu werden. Mit Beschluss vom 23. 2. 1998 gab das Gericht ihrem Antrag statt, jedoch wurde dieser Beschluss am 27. 2. 1998 vom Hessischen VGH aufgehoben.
Schließlich erhob Frau S. am 9. 4. 1998 beim VerwG Frankfurt am Main Klage auf Feststellung, dass die Ablehnung durch das Ministerium rechtswidrig sei, sowie auf Einstellung als Rechtsreferendarin durch das Land Hessen in den Vorbereitungsdienst zum Beginn des Monats Mai 1998. Nachdem sie durch Schreiben vom 24. 4. 1998 erfahren hatte, dass ihr bei der Auswahl für den Vorbereitungsdienst für diesen Termin eine Stelle zugeteilt werden konnte, nahm sie den auf Einstellung zu diesem Termin bezogenen Klageantrag zurück, hielt aber ihren Antrag aufrecht, festzustellen, dass die angefochtenen Bescheide rechtswidrig seien, weil sie sie als Frau diskriminierten.
Das VerwG neigt dazu, dem Begehren der Kl. stattzugeben, u.a. weil eine der Voraussetzungen für den vorrangigen Zugang zum juristischen Vorbereitungsdienst nur von männlichen Bewerbern erfüllt werden könne und wesentlich mehr männliche Bewerber bevorzugt eingestellt würden als weibliche Bewerber, deren Zahl insgesamt jedoch wesentlich höher sei. Angesichts der gegenteiligen Auffassung, die der Hessische VGH im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vertreten habe, könne es nicht unmittelbar entscheiden.
Das VerwG hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen: […]
Zur Zulässigkeit der Vorlagefragen
[…]
Zur ersten Frage
[…]
Zur zweiten Frage
Mit der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob nationale Vorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine unmittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts bewirken, soweit sie ausschließlich im Hinblick auf die Erfüllung einer Wehr- oder Ersatzdienstpflicht zu einer bevorzugten Aufnahme von männlichen Bewerbern in den juristischen Vorbereitungsdienst führen.
Das Land Hessen und die Kommission schlagen vor, diese Frage zu verneinen. Die fragliche Regelung knüpfe nämlich nicht an das Geschlecht der Bewerber an, sondern stelle auf die mit einer Zurückstellung eintretenden Nachteile ab, die Männer und Frauen gleichermaßen treffen könnten.
Wie in Rn. 13 dieses Urteils dargelegt wurde, nennt § 14a JAO eine Reihe von Umständen, die für den vorrangigen Zugang zum juristischen Vorbereitungsdienst berücksichtigt werden können. Dazu gehört auch die Erfüllung eines Wehr- oder Ersatzdienstes. In einem solchen Fall kann der Vorteil des in den genannten Vorschriften vorgesehenen Vorrangs nicht als unmittelbar auf dem Geschlecht der Betroffenen beruhend angesehen werden.
Nach den vom Gerichtshof aufgestellten Kriterien können nur solche Vorschriften, die nicht gleichermaßen für Frauen und Männer gelten, als eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts betrachtet werden.
Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, dass nationale Vorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden keine unmittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts bewirken.
Zur dritten Frage
Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob nationale Vorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bewirken, soweit sie ausschließlich im Hinblick auf die Erfüllung einer Wehr- oder Ersatzdienstpflicht zu einer bevorzugten Aufnahme von männlichen Bewerbern in den juristischen Vorbereitungsdienst führen.
Das Land Hessen schlägt vor, die Frage zu verneinen. Es macht insbesondere geltend, dass die Bestimmung der in den streitigen Vorschriften vorgesehenen Härtefälle auf Kriterien beruhe, die unabhängig vom Geschlecht der Betroffenen seien, und dass die vom vorlegenden Gericht angeführten statistischen Daten, die sich nur auf einen einzigen Aufnahmetermin bezögen, nicht aussagekräftig seien.
Die Kommission ist dagegen der Ansicht, dass die statistischen Daten, nach denen bei den weiblichen Bewerbern der Prozentsatz derjenigen, die als Härtefälle einen positiven Einstellungsbescheid für den Vorbereitungsdienst ab März 1998 erhalten hätten, deutlich unter dem entsprechenden Prozentsatz bei den männlichen Bewerbern liege, obwohl etwa 60% aller Bewerber Frauen gewesen seien, auf eine mittelbare Diskriminierung i.S. der Rechtsprechung des Gerichtshofes hinwiesen.
Im vorliegenden Fall ist es jedoch nicht erforderlich, die konkreten Auswirkungen der Anwendung der JAO zu untersuchen. Schon die streitigen Vorschriften selbst bewirken dadurch, dass sie Bewerbern, die eine Wehr- oder Ersatzdienstpflicht erfüllt haben, Vorrang einräumen, eine mittelbare Diskriminierung, da Frauen nach dem anwendbaren nationalen Recht nicht der Wehrpflicht unterliegen und somit die Härtefallregelung nach den genannten Vorschriften der JAO nicht in Anspruch nehmen können.
Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, dass nationale Vorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts bewirken.
Zur vierten, zur fünften, zur sechsten und zur siebten Frage
Mit diesen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Rechtfertigung der streitigen Regelung nach Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie ausscheidet, weil diese Regelung automatisch eine bevorzugte Aufnahme von Männern in den Vorbereitungsdienst bewirkt, auf die sich diese Vorschrift nicht bezieht, oder im Gegenteil zugelassen werden muss, weil sie Nachteile ausgleicht, denen Frauen nicht ausgesetzt sind.
Das Land Hessen ist der Ansicht, dass die in der streitigen Regelung für Härtefälle vorgesehene bevorzugte Aufnahme in den Vorbereitungsdienst nicht automatisch erfolge, sondern eine Einzelfallprüfung voraussetze. Außerdem lasse sich diese Regelung allein mit der Erwägung rechtfertigen, dass sie bezwecke, Nachteile auszugleichen, denen Frauen mangels Dienstpflicht nicht ausgesetzt seien.
Die Kommission vertritt unter Hinweis darauf, dass die in Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen sowohl Männer als auch Frauen betreffen könnten, ebenfalls die Ansicht, dass die streitige Regelung gerechtfertigt sei, da sie bezwecke, die Ungleichheit zu verringern, die Männer auf Grund ihrer Pflicht zur Ableistung eines Wehr- oder Ersatzdienstes treffe.
Wie in Rn. 38 dieses Urteils ausgeführt wurde, bewirkt eine Maßnahme, die Personen Vorrang einräumt, die eine Wehr- oder Ersatzdienstpflicht erfüllt haben, eine mittelbare Diskriminierung zugunsten von Männern, da nur sie einer solchen gesetzlichen Pflicht unterliegen.
Mit der streitigen Vorschrift soll jedoch der Verzögerung in der Ausbildung von Bewerbern Rechnung getragen werden, die einer Wehr- oder Ersatzdienstpflicht unterliegen; sie ist somit objektiver Natur und soll allein zum Ausgleich der Auswirkungen dieser Verzögerung beitragen.
Daher kann die fragliche Vorschrift nicht als im Widerspruch zum Grundsatz der Gleichbehandlung von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern stehend betrachtet werden.
Im Übrigen erscheint, wie die Kommission vorträgt, der bestimmten Bewerbern – deren Vorrang sich nur für längstens zwölf Monate zum Nachteil der anderen Bewerber auswirken kann – eingeräumte Vorteil nicht unverhältnismäßig, da die Verzögerung, die sie aufgrund der Erfüllung ihrer Dienstpflicht trifft, diesem Zeitraum mindestens entspricht.
Auf die genannten Fragen ist daher zu antworten, dass die Richtlinie nationalen Vorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, soweit sie durch sachliche Gründe gerechtfertigt sind und allein zum Ausgleich der Verzögerung beitragen sollen, die sich aus der Erfüllung einer Wehr- oder Ersatzdienstpflicht ergibt.








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